Schmerz vermeidet Leid!
Wie bitte?
Diese Aussage scheint zunächst einmal nicht unmittelbar einleuchtend 😄, oder vielleicht sogar ganz falsch.
Doch sehe ich in meiner Arbeit immer wieder, wie sie zutrifft. Wie die Aufarbeitung von altem Schmerz bestehendes Leid beseitigt. Und wie ein Wahrnehmen und Zulassen von aktuellem Schmerz ein Leiden verhindert. Und gerade da unsere Gesellschaft eher die Einstimmung hat, Schmerz nicht wahrhaben und wahrnehmen zu wollen, will ich meine Gedanken und Erfahrungen dazu etwas ausführlicher teilen.
Zunächst eine Begriffsklärung. Schmerz verstehen wir als eine Empfindung auf körperlicher oder emotionaler Ebene, die eine Skala von unangenehm bis unerträglich aufweisen kann. Wir interessieren uns hier mehr für den Schmerz auf emotionaler oder seelischer Ebene. Leid oder Leiden ist ein länger andauernder Zustand, der geprägt ist von Schmerzen, Beschwerden und Belastung. Damit einhergehend sind immer wieder auftretende Unerfülltheit, Traurigkeit oder Unsicherheit, so dass Freude und Zufriedenheit nur im Leben eingeschränkt erfahren werden können.
Auf körperlicher Ebene ist der Zusammenhang zwischen Schmerz und Leid schnell ersichtlich. Schmerz gibt dem Menschen einen Hinweis auf etwas, was Aufmerksamkeit braucht. Der schmerzende Teil benötigt einen sorgsamen Umgang, eventuell eine Behandlung. Heilung braucht Aufmerksamkeit und auch Zeit. Und es entstehen größere Probleme, wenn ich mich nicht darum kümmere. Dann entsteht Leiden oder Leid, was leider viele Menschen kennen.
Das Muster vom körperlichen Schmerz lässt sich ebenso auf den emotionalen Schmerz übertragen, denn auch hier gibt er den Menschen einen Hinweis, sich zu kümmern. Dem den Schmerz verursachenden Thema Aufmerksamkeit zu widmen und mit ihm sorgsam umzugehen.
Nehmen wir als Beispiel den Verlust eines nahestehenden Menschen. Der damit verbundene emotionale Schmerz ist häufig so groß, dass die Menschen ihn unterdrücken. Sie denken, dass sie ihn nicht aushalten könnten. So nehmen sie sich keinen Raum und keine Zeit für die Trauer und lenken sich ab.
Doch mit der Unterdrückung des Schmerzes unterdrücken sie gleichzeitig auch das Fühlen der Liebe und Dankbarkeit gegenüber dem Menschen, den sie verloren haben. Häufig entsteht so die Idee oder die Überzeugung, das Liebe gleichzeitig mit Schmerz verbunden ist. Denn das ist die Erfahrung, die sie mit einer engen Beziehung verbinden. Für solch einen Menschen wird es schwerer, sich auf eine Beziehung wirklich einzulassen und dort Liebe zu finden, zu fühlen und zu geben. Die Beziehung bleibt so zu großen Teilen unerfüllt. Zusätzlich ist da auch immer Verlustangst, so dass die Beziehung weder für den betroffenen Menschen noch für sein Gegenüber frei sein kann. So entsteht aus dem unterdrücktem Schmerz emotionales Leid.
Ich sehe in meiner Arbeit immer wieder, wie befreiend es ist, wenn sich die Überzeugung auflöst, das Liebe mit Schmerz verbunden ist und die Menschen wieder Liebe fühlen können. Dafür ist es allerdings notwendig, sich auf den auch schmerzhaften Prozess des Zulassens und der Bearbeitung des alten Schmerzes einzulassen. Einige Zeit wirklich tief den Schmerz zu fühlen und damit zu bleiben. Das wird manchmal erst durch Unterstützung möglich, also suche dir diese, wenn das für dich ansteht.
Befreiung
Und es lohnt sich, denn dann kann die Liebe wieder erlebt und gelebt werden, und der Mensch wird frei für tiefe und erfüllende Beziehungen.